DLK 23-12 FF Nettingsdorf - Ersatzbeschaffung im EU-Zeitalter
Geschrieben am: 2004-08-25 12:55:29

Nettingsdorf (Oö): Dieser Bericht soll die Projektabwicklung zur Ersatzbeschaffung einer Drehleiter dokumentieren. Im Gegensatz zu Berufsfeuerwehren stehen bei freiwilligen Feuerwehren keine hauptamtlichen „Feuerwehrgerätetechniker“ zur Verfügung.

Eine dementsprechende zeitliche Herausforderung für „ehrenamtliche Techniker“ bedeutet daher eine europaweite Ausschreibung eines solchen Sonderfahrzeuges. Gerade bei den Hubrettungsgeräten ist der technische Fortschritt aufgrund des Einzuges der industrieüblichen Automatisierungstechnik enorm. Parallel dazu müssen vergabe-rechtliche EU-Richtlinien bzgl. Ausschreibung – Thematik „Gleichberechtigung aller Bieter“ - sowie auch der Einzug von härteren wirtschaftlichen Begleiterscheinungen im Projektmanagement bewältigt werden.

Text und Fotos: Ing. Mayrhofer Andreas und Gerätewart Röckenberger Mario


Im Jahr 1993 wurde aufgrund der Feuerschutzbestimmung für die Stadtgemeinde Ansfelden (Oberösterreich) erstmals eine Drehleiter bei der Feuerwehr Nettingsdorf stationiert. Nach zahlreichen Menschenrettungen und Hilfeleistungen wurden bei den technischen, für ein Rettungsgerät vorgeschriebenen, Prüfungen jedoch festgestellt, dass bei der DLK 23-12 Vario von Magirus-Deutz mit einem Gesamtalter von 25 Jahren kostspielige Reparaturen anstehen um eine Wiederinstandsetzung für den weiteren Einsatzdienst realisieren zu können.
Aus diesen Tatsachen heraus beschloss der Stadt- und Gemeinderat der Stadtgemeinde Ansfelden im März 2001 eine Ersatzbeschaffung in Form eines neuen Hubrettungsgerätes gemäß heutigem Stand der Technik. Das Neue sollte gegenüber der bestehenden Drehleiter jedoch mindestens folgende relevante Kriterien vorweisen können:
• fix montierter Rettungskorb
• verkürzte Rüstzeit
• verbesserte Rettungskapazität (Verfahrgeschwindigkeiten, Korb)
• die Rettungshöhe soll bei mehr als 30 Meter liegen
• maximierte Ausladungscharakteristik bei variabler Abstützbreite
• ergonomisch u. bedienfreundlich

Studie zum Produktvergleich
Nach Vorführungen der Firmen, Metz-Rosenbauer, Lohr-Magirus, Bronto-Skylift und einigen Besuchen bei anderen Feuerwehren wurde vom Projektteam der Feuerwehr eine technische Studie zum Produktvergleich von über 120 Seiten in gebundener Form erstellt. Dies stellte dann die technische Basis zur Erstellung einer europaweiten Ausschreibung dar.


Gemäß gültigem EU-Vergaberecht ist jeder öffentliche Auftraggeber wie zB eine Stadtgemeine dazu verpflichtet Aufträge über einem Gesamtwert von EUR 200.000,- europaweit auszuschreiben sowie die benannten Angebots- und Einspruchsfristen einzuhalten. Dies gilt auch für den Ankauf von Einsatzfahrzeugen durch die öffentliche Hand.

Europaweite Ausschreibung
Infolge wurde der juristische und kaufmännische Teil der Ausschreibung vom Stadtgemeindeamt und der technische Teil wiederum von den Technikern der Feuerwehr verfasst. Dies wurde dem Gemeinderat im April 2002 zum Beschluss vorgelegt und die Kundmachung veröffentlicht. Ab diesem Zeitpunkt begann für alle Drehleiternhersteller im Europäischen Wirtschaftsraum die Angebotsfrist zu laufen. Im Juli 2002 wurden dann alle eingelangten Angebote am Stadtamt vor den anwesenden Bietern geöffnet und die Preise verlesen. Zur Verifizierung des Zuschlags konnte gemäß Ausschreibung nach dem Bestbieterprinzip ermittelt werden, was bedeutet, dass sowohl Preis als auch Lieferleistungen der jeweiligen Angebote ausgewertet werden müssen.
Drei Monate Vergabefrist
Die Auswertung erfolgte nach einem Auswerteschlüssel, welcher fairer Weise bereits in den Ausschreibungsunterlagen definiert wurde. Dazu bewertete eine fünfköpfige technische Jury die Vor- und Nachteile der Angebote der beiden Bieterkonsortien Lohr-Magirus und Rosenbauer-Metz. Im August 2002 konnte ein Vergabevorschlag basierend auf einer detaillierten Bewertungsmatrix an den Finanz- und Rechtsausschuss übergeben werden.

Vergabe an den Best- und Billigstbieter
Dieser Vergabevorschlag wurde dann endgültig durch den Stadt- und Gemeinderat beschlossen und die Auftragsvergabe an den Best- und Billigstbieter, nämlich der Fa. Lohr-Magirus erteilt. Gekauft wurde somit das Nachfolgemodell in dritter Generation der bestehenden Drehleiter welches über eine Reihe einmaliger und innovativer Neuerungen verfügt.


MAGIRUS DLK 23-12 Vario CS mit Hochschulabschluss
Rettungshöhe, sowie Ausrüstungsgegenstände wurden großteils gemäß der bestehenden DLK beibehalten. Verbessert wurde die schon bisher eingesetzte Vario-Abstützung (Abstützbreite bis 5,2 m möglich), welche nun eine weitaus verbesserte Ausladungscharakteristik bewirkt. Weiters verfügt die Magirus-CS über ein einzigartiges Schwingungsdämpfungssystem (Computer Stabilized). Diese Technologie wurde in Kooperation mit der Universität Ulm entwickelt und erlaubt nun der Drehleiter der FF Nettingsdorf mit Hochschulabschluss sowohl weitaus präzisere Positionssteuerungen, als auch höhere Verfahrgeschwindigkeiten des Leitersatzes, wodurch selbst bei einsatzbedingten Stößen und Windböen beinahe die dreifachen Verfahrgeschwindigkeiten im Vergleich zur bestehenden Drehleiter erreicht werden können. Weitere Vorteile sind die erhöhte Lebensdauer des Leitersatzes durch eine maßgebliche Reduktion der dynamischen Belastungen der Führungen was auch einen wesentlichen Sicherheitsaspekt mit sich bringt.
Sämtliche regelungs- und steuerungstechnischen Softwarebefehle werden von einem elektronischen Komunikationssystem (CANBUS) permanent überwacht. Insgesamt verfügt das Hubrettungsgerät über fünf Mikroprozessoren. Zur Bedienung der Leiterkomponenten steht jeweils ein vollwertiger Bedienstand im Dreimannkorb und am Drehgestell zur Verfügung. Insbesondere der Hauptbedienstand zeichnet sich durch die ergonomische Formgebung und logische Anordnung sowie Wirkungsweise der Bedienelemente, wozu auch das Farb-Bediendisplay und die Multifunktional-Joysticks gehören, aus. Beidseitig angeordnete Bedienpaneele für die Vario-Abstützung ergänzen das Konzept. Bei der Verarbeitung sämtlicher elektrischer Komponenten wurde seitens des Lieferanten auf höchste Qualität in Bezug auf Witterungsbeständigkeit und Langlebigkeit geachtet.

Auswahl des Fahrgestelles
Anfangs wurden so ziemlich alle Chassis-Anbieter der Mittelklasse in Betracht gezogen. Nach verschiedenen Fahrtests sowie technischen Abklärungen mit den Aufbauherstellern kristallisierte sich folgende Erkenntnis heraus:
Niederflurfahrgestelle wie zB MB ECONIC bereiteten fast allen Kraftfahrern aufgrund des versetzten Fahrerhauses erhebliche Probleme beim Kurvenfahren im dichtverbauten Wohngebiet. Anfangs wurde nach einem möglichst wendigem Chassis mit kurzem Achsabstand gesucht. Diese Idee wurde revidiert, da bei Probefahrten ein erheblicher Fahrstabilitätseinfluss durch „Schaukelbewegungen“ aufgefallen ist. Die Lage der Hinterachse bestimmt somit auch gewisser Maßen die Position der Leiterdrehachse und in weiterer Folge den Korbüberstand über das Fahrerhaus welcher ebenfalls minimiert werden sollte. Alle einsatzerfahrenen Kraftfahrer forderten des weiteren ein Chassis mit dem bisher gewohnten Automatikgetriebe. Aus all diesen Gesichtspunkten heraus fiel die Wahl auf ein IVECO Fahrgestell der Euro III Norm. Der Achsabstand beträgt 4,8 m. Diese Chassis-Type wird als einzige in Abstimmung mit den Aufbauherstellern auf einer Fertigungslinie für Einsatzfahrzeuge produziert. Fahrzeugkomponenten wie zB Druckluftkessel für die Bremsanlage, Batteriekasten, Nebenabtrieb, Ladestromanlage, etc. werden schon dort ortsgerecht vorgesehen wodurch beim Aufbauhersteller keine nachträglichen Umbauten an Sicherheitsteilen erfolgen müssen.


Fahrsicherheit
Der Begriff „Fahrsicherheit“ wird bei der FF Nettingsdorf aufgrund eines folgenschweren Unfalls mit einem Tanklöschfahrzeug während einer Einsatzfahrt groß geschrieben.
Diverse Sonderausstattungen der neuen Drehleiter reflektieren die gewonnenen Erkenntnisse bei verschiedensten Einsatzfahrten und auch durchgeführte Fahrsicherheits-trainings mit den eigenen Einsatzfahrzeugen:
Allison 5-Gang Automatikgetriebe für mehr Konzentration beim Rangieren im dichtverbauten Wohnungsgebiet.
Die Betriebs-Bremsanlage wurde mit einem Luftpresser höheren Volumenstromes sowie parallel zugeschalteter Retarder-Bremse verstärkt. Zusätzlich wirkt die Haltebremse zur besseren Standfestigkeit auf beide Achsen. Die Bereifung wurde in einer verstärkten „mehrlagigen“ Ausführung gewählt und verleiht dem Fahrzeug mehr „Spurtreue“. Ansfelden gilt als einer der größten Verkehrsknotenpunkte Oberösterreichs, wodurch auch dahingehend die meisten Einsatzfahrzeuge mit dem für die FF Nettingsdorf typischen M&R-Design in weiß reflektierender Klebetechnik sowie Blitzlichtanlage und Martin-Folgetonhorn ausgeführt sind. Ein besonderes Detail ist der gelb flouriszierende Obergurt. Dieser markiert eine auffällige Kontur des Leitersatzes und hilft dem Leitermaschinisten beim Steuern des Oberwagens bei schlechter Sicht und Dunkelheit. Als weitere Hilfe für den Kraftfahrer beim Rückwärtsrangieren des Fahrzeuges ist ein Rückfahrkamerasystem installiert. Es wird beim Aktivieren des Rückwärtsganges am Allison Schaltpaneel automatisch aktiv. Ein Farbdisplay zeigt dem Fahrer den durch das Drehgestell und Podium verdeckten Rangierbereich. Der Anschaffungspreis solcher Kamerasysteme beträgt mittlerweile einen Bruchteil der eventuell anfallenden Kosten durch Beschädigungen an der Fahrzeugheckseite. Insofern wurde auch nicht bei der Auswahl der Fahrzeugrückspiegel und Manövrierscheinwerfern gespart. Im Gesamten ergeben diese Features ein kompaktes und, mit 285 PS bei 15 Tonnen Gesamtgewicht, leistungsstarkes Fahrgestell.


Beladekonzept
Besonderes Augenmerk wurde auf ein ausreichendes Beladeraumvolumen gelegt. Die in Leichtbauweise aufgebaute Podiumskonstruktion weist somit mehr als 4,2 m³ Beladeraumvolumen auf. Die Lagerung von Gerätschaften am Podium bzw. Drehgestell wurde zum Schutz dieser vor Witterungs- und Schmutzeinflüssen weitgehend vermieden. Ausnahmen sind der Wasserwerfer, die Krankentragenhalterung und der lärmarme 6 kVA Stromerzeuge von GEKO Type 6602 welche praktisch per Fernstartsteuerung sowohl vom Hauptbedienstand als auch vom Korb aus gestartet werden kann. Jedoch wurden einsatztaktisch verwandte Geräte gezielt in Geräteräume zusammengefasst und somit eine Aufteilung des Stauräume in Brandbekämpfung (Fahrerseite) und Menschenrettung (Beifahrerseite) erreicht. Die Optimierung der Beladeraumkapazität wurde unter anderem auch durch die Auswahl des Fahrgestells und dessen Achsabstand bestimmt. Abgerundet wird dies noch mit acht im Podium integrierten Leuchtstoffbändern. Diese dienen zur blendfreien Ausleuchtung des Fahrzeugumfeldes und können nur bei aktivem Nebenantrieb zugeschaltet werden.

Drei-Mann-Rettungskorb
Einer der wesentlichsten Errungenschaften stellt in Bezug auf Rüstzeiten der fix montierte Drei-Mann-Rettungskorb mit 270 kg Korblast dar.
Zwei Multifunktionssäulen sind jeweils seitlich angeordnet und erlauben sowohl das Aufstecken der Krankentragenhalterung, des Korbmonitors mit Hohlstrahldüse als auch des Abseilgalgens für etwaige Rollglisseinsätze. Alle zur Höhenrettung notwendigen Gerätschaften wurden dazu in einer tragbaren Aluminium-Kiste verstaut. Dies ermöglicht einen flexibleren Einsatz bei vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. In Punkto Menschenrettung wird nichts dem Zufall überlassen, somit ist der Abtransport von gehunfähigen Personen per aufsteckbarer Krankentragenhalterung, Dank des zusätzlichen Adapters, sowohl mit der FERNO-Korbschleiftrage als auch der im Rettungswesen üblichen Krankentrage möglich. Dabei erweist sich die mittige Lage des Korbbedienstandes als vorteilhaft. Dies erlaubt zwei getrennte Korbeinstiege mit seitlich wegklappbaren Falttüren was ein aufrechtes Besteigen des Korbes ermöglicht. Als „Ausführung Nettingsdorf“ können weiters zwei im Korb befestigte und wasserdicht verschlossene Behälter mit Filtermaske bzw. Fluchthauben zur Menschenrettung bei Brandeinsätzen betrachtet werden. Zu guter Letzt ist der Leitersatz inklusive Korb noch mit verschiedenen Beleuchtungskörpern versehen. Fix montiert (24 Volt) sind bewegliche Suchscheinwerfer, ein am Leitersatz platzierter Arbeitsscheinwerfer und ein Xenonscheinwerfer an der Korbvorderseite. Zusätzlich kann ein tragbarer leistungsstärkerer Xenonscheinwerfer (24 Volt) an den Multifunktionssäulen am Rettungskorb aufgesteckt werden. Sollte dies immer noch nicht reichen, kommen die gewohnten aufsteckbaren 1000 Watt Halogenfluter an den beiden Korbseiten zum Einsatz. Die Versorgung erfolgt über die fix verkabelte Stromhochführung vom GEKO bis zur Leiterspitze. Zur Versorgung des Wasserwerfers am Rettungskorb ist der letzte Leiterteil mit einem fix montierten Steigrohr versehen. Dies spart bei der Brandbekämpfung ebenfalls Rüstzeit, da der B-Schlauch noch bei eingefahrenem Leitersatz am unteren Ende des Steigfeldes angekuppelt wird und daher kein mühsames Ausrollen am waagrechten Leiterteil notwendig ist. Entgegen der ersten Befürchtungen ist ein Besteigen des letzten Leiterteiles trotz dieses Rohres ohne merkliche Beeinträchtigungen möglich.


Resümee zum Projektverlauf
Das Ersatzbeschaffungsprojekt konnte seitens des Projektteams Ende August d.J. mit der Überstellung der Drehleiter und 12 ausgebildeten Maschinisten in den Einsatzdienst abgeschlossen werden. Sicherlich muss sich das gewählte Fahrzeugkonzept erstmals bewähren, doch blickt man hinsichtlich Qualität und Einsatztauglichkeit gelassen in die Zukunft, welche wiederum 25 Jahre andauern sollte. Dies basiert auf den guten Erfahrungen mit dem Vorgängergerät und der während der Bauphase gelebten Vorgangsweise, welche Kooperation, Kompromissbereitschaft und Ehrlichkeit zwischen Lieferanten und Kunden zeigte.

Kontakt:
Ing. Andreas Mayrhofer



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