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Bayern: “Noch nie so schlecht behandelt” als Tenor für langwierge, schwierge Rettungsaktion in den Bergen in Ramsau

RAMSAU BEI BERCHTESGADEN (BAYERN): Das lang ersehnte sommerliche Bergwetter am langen Pfingst-Wochenende 2023 hat unzählige Menschen in die Berchtesgadener Alpen gelockt, wobei vor allem die Bergwacht Ramsau mit drei teilweise sehr aufwendigen Einsätzen am Sonntag alle Hände voll zu tun hatte:

Kurz nach 14 Uhr setzten ein 37-jähriger Mann und eine 29-jährige Frau aus Nordrhein-Westfalen einen Notruf ab, da sie sich bei der noch immer sehr winterlichen Watzmann-Überschreitung zwischen Mittel- und Südspitze verstiegen hatten und in Bergnot geraten waren. Dank einer fliegerischen Meisterleistung des Polizeihubschrauber-Piloten, der eine günstige Wolkenlücke nutzte, dauerte die aufwendige und riskante Rettungsaktion dann weniger lang als befürchtet, wobei trotzdem 16 Bergretter und zwei Helis bis zu sieben Stunden lang gefordert waren.

Die Einsatzstelle

Meist von Wolken umhüllt

Trotz der eigentlich sehr guten Prognose waren die Gipfel der höheren Berge am Sonntag die meiste Zeit über von Wolken umhüllt, weshalb auch die Einsatzstelle am Watzmanngrat mit einer Untergrenze von rund 2.400 Metern im Nebel lag und per Heli nicht erreichbar war. Die Besatzungen des Salzburger Notarzthubschraubers „Christophorus 6“ und danach des Polizeihuschraubers „Edelweiß 6“ flogen deshalb im Shuttle-Verkehr mehrere Einsatzkräfte mit umfangreicher Ausrüstung bis zum Watzmannhaus, die dann weiter zu Fuß übers Hocheck und den Grat zu den Urlaubern aufstiegen.

Die unverletzten Verstiegenen hatten einen sicheren Stand, aber lediglich dünne Schlafsäcke von der Übernachtung am Watzmannhaus dabei und versuchten sich bei knapp unter fünf Grad in der Wolke so gut wie möglich warm zu halten; da sie zu erschöpft waren, konnten sie nicht in Richtung der Mittelspitze den Rettern entgegen gehen, um den Einsatz damit etwas zu verkürzen.

Langer und komplexer Einsatz

Die Bergwacht plante wegen des anhaltenden Nebels mit Sichtweiten von nur wenigen Metern einen langen und komplexen Einsatz bis weit in die Nacht hinein mit dem Ziel, das Duo zumindest bis zum Sonnenuntergang in die Schutzhütte am Hocheck zu bringen, die von den Rettern mit offener Türe und vermüllt vorgefunden wurde. Fünf Bergretter stiegen mit Sicherungsmaterial, Ausrüstung zum Wärme-Erhalt und Energieriegeln zum Hocheck auf und dann in den Grat ein, wobei ab der Hochstiege eine geschlossene, zunehmend stärkere und rutschige Altschneedecke vorherrschte, die aber zu weich und stellenweise auch zu dünn für Steigeisen war.

Vier weitere Einsatzkräfte warteten am Hocheck mit zusätzlichen Seilen; zwei weitere Retter rückten vom Haus aus nach. Der Einsatzleiter ließ am Wimbachschloss zur besseren Kommunikation im Funkschatten der Westwand ein Gateway aufbauen, den Kerosin-Anhänger aus Berchtesgaden zum Nachtanken der Helis und den Ruhpoldinger Bergwacht-Notarzt in die Ramsau holen, damit bei einem Notfall mit Verletzten während der riskanten Rettungsaktion medizinische Hilfe zumindest innerhalb weniger Stunden verfügbar wäre. Die Retter konnten zunächst weder Rufkontakt von der Mittelspitze aus herstellen noch die Einsatzstelle aus der Luft finden, da der Grat wolkenumhüllt blieb.

Wolkenlücke unverzüglich ausgenutzt

Die Besatzung des Polizeihubschraubers blieb in der Luft und kreiste konsequent über dem Wimbachgries, um bei einer Wolkenlücke ohne Zeitverlust die Einsatzstelle anfliegen zu können. Kurz nach 17.30 Uhr riss es dann tatsächlich so weit aus, so dass die Heli-Crew die Verstiegenen erstmals in rund 2.600 Metern Höhe zwischen der Mittel- und der Südspitze sehen konnte.

Zwei Bergretter arbeiteten sich so schnell wie nur möglich über den rutschigen Altschnee vor, wobei die gesamte lokale alpine Quellbewölkung in Bewegung geriet, die Südspitze erstmals vom Hocheck aus sichtbar wurde und einen kurzen Anflug auf Sicht möglich machte.

Die Zeit drängte – “noch nie so schlecht behandelt”

Da die Zeit drängte, mussten die Retter an der Einsatzstelle die Verstiegenen sehr direkt auffordern, nicht mehr zeitaufwendig ihre Biwak-Ausrüstung einzupacken, damit der Heli die kurze Wolkenlücke nutzen und sie sofort abholen kann. Angesichts der Konsequenzen mit einem langen und riskanten Rückstieg über den winterlichen Grat zum Hocheck und einer kalten Nacht am Watzmann waren die Leute schnell kooperativ und ließen ihre Ausrüstung am Berg zurück, so dass der Heli gegen 17.55 Uhr in einem Anflug und in zwei Winden-Aufzügen die Urlauber und die beiden Bergretter abholen und ins Tal an die Wache fliegen konnte, wo sie um 18 Uhr wohlbehalten ankamen, aber missmutig äußerten, dass sie als Patienten noch nie so schlecht behandelt worden seien, woraufhin sie auch sofort verschwanden.

Schnelle Entscheidungen notwendig

„Wir müssen in derart hoch dynamischen Einsatzlagen oft sehr schnell Entscheidungen treffen und auch mal recht direkt mit Betroffenen sprechen, die nicht immer sofort die Brisanz der Lage und das hohe Risiko für alle Beteiligten realistisch einschätzen können; ein zurückgelassener Schlafsack steht in keinem Verhältnis zu Leben und Gesundheit von Menschen!“, erklärt Bergwacht-Sprecher Michael Renner, der sich mit seinen Kameraden trotz langjähriger Einsatzerfahrung über die Reaktion schon etwas ärgert: „Betroffene reagieren unter den Eindrücken einer Ausnahme-Situation sicher anders, als sie es vielleicht sonst machen würden, weshalb wir so etwas nicht überbewerten, auch wenn es etwas irritiert, da wir ja nur möglichst gut helfen wollen!“  

Die drei weiteren Retter mussten im Bereich der Mittelspitze eine gute Stunde lang warten, bis der Heli durch eine weitere Wolkenlücke anfliegen und alle in zwei Windengängen aufnehmen und ausfliegen konnte. Die für den aufwendigen bodengebunden Einsatz ausgerüsteten fünf Einsatzkräfte am Hocheck stiegen bis zum Hochstieg ab und eine weitere Einsatzkraft unterhalb drehte wieder zum Watzmannhaus um, so dass der Heli alle unterhalb der Wolken abholen konnte.

„Dem fliegerischen Können der Besatzung von „Edelweiß 6“ ist es zu verdanken, dass alle Windengänge am Grat sicher stattfinden konnten und uns eine langwierige Rettung über den Grat und eine kalte Nacht in der aktuell leider wieder recht vermüllten und mit offenstehender Türe der Witterung ausgesetzten Schutzhütte erspart geblieben sind“, lobt Renner.

Verwunderung über gefährliche Erwartungshaltung

„Wir sind zunehmend verwundert über die gefährliche Erwartungshaltung, die sich scheinbar mehr und mehr zu etablieren scheint, dass die Rettung im Hochgebirge bei Wind und Wetter sowohl eine garantierte als auch eine unkritische Sache wäre – auch wenn manche Bergsteiger das vielleicht nicht so gut einschätzen können und anders reagieren als jemand, der tatsächlich weiß, auf was er sich bei einer winterlichen Grat-Überschreitung einlässt.

Auch für uns war der Einsatz im rutschigen und schwer einzuschätzenden Altschnee im Absturz-Gelände riskant“, erklärt Renner, der sich ausdrücklich beim Berchtesgadener Sporthaus Babel bedankt, das die Bergwacht mit technischen Höhenbergstiefeln mit integrierter Gamasche ausgestattet hat, die sich bei diesem Einsatz bestens bewährt haben.

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