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Gastbeitrag: Wie eine Freiwillige Feuerwehr in Serbien funktioniert

SERBIEN: Keine Leitstelle, keine Meldeempfänger und auch kein Funk. Der deutsche Journalist und Blogger Ralph Menz erzählt, warum die mit zwei Löschfahrzeugen ausgestattete Freiwillige Feuerwehr in Stanišić dennoch funktioniert.

Wenn es brennt, sind sie zur Stelle: 16 Männer der Freiwilligen Feuerwehr mit zwei Löschfahrzeugen und einem Mannschaftstransporter. Eine Leitstelle, Meldeempfänger oder Funk gibt es allerdings nicht. Doch wie funktioniert dann so eine Freiwillige Feuerwehr in Serbien?

Ortstermin in Stanišić nahe der ungarischen Grenze in der Vojvodina, einem kleinem Dorf, das zur Stadt Sombor gehört. Ich treffe mich mit Wehrführer Oto Olah (gesprochen: Otto Olach) und seinen Jungs im Feuerwehrstützpunkt in der Ortsmitte. Oto ist seit 15 Jahren Kommandant. Schon sein Vater, heute 87, war Jahrzehnte in der Feuerwehr. Auch sein Schwiegersohn in spe ist dabei. Feuerwehr ist bei Olahs Familiensache. Die Garagen der Wehr liegen im Hinterhof eines alten donauschwäbischen Hauses an der Hauptstraße von Stanišić (gesprochen Stanischitsch). 4800 Einwohner. Viel Landwirtschaft. Tankstelle. Bäckerei. Kneipe. Apotheke. Zwei Kirchen. Sombor ist 20 Kilometer entfernt.

FAP-Lkw als "Universalwaffe" gegen das Feuer
Die Garagentore sind rot gestrichen. Schwingen sie auf, kommen die markanten Kühler zweier FAP-Lkw aus jugoslawischer Produktion zum Vorschein. „Hier links steht unser Schätzchen Baujahr 1974, mit dem wir zu allen Einsätzen ausrücken“, erklärt Oto. Der Tankwagen fasst 8000 Liter Wasser, hat einen Nebenantrieb mit Pumpe und ist die Universalwaffe im Kampf gegen das Feuer. Wenn Oto den Zündschlüssel umdreht und der schwere Dieselmotor anspringt, ist das eigene Wort kaum noch zu verstehen. FAP, das ist robuste Technik aus dem sozialistischen Jugoslawien. „Im Sommer kommt es hier häufiger zu Flächenbränden auf den Feldern, im Winter zu Kaminbränden oder wenn jemand unvorsichtig mit Feuer ist“, berichtet der Kommandant. Verladen ist auf dem Tankwagen alles, was die Wehr zur Brandbekämpfung braucht – und auch alles was sie hat: ein Dutzend Schläuche, Verteiler, Strahlrohre und ein Standrohr mit Hydrantenschlüssel, um die Wasserleitungen anzapfen zu können. Auf dem Dach sind eine tragbare Aluminiumleiter, Schaufeln und Feuerpatschen verlastet.

Geld für Reparaturen ist Mangelware
Zum Fuhrpark gehört ein zweiter Wagen, ebenfalls ein FAP. 45 Jahre alt. Er ist aber derzeit defekt und nicht einsatzbereit. Das Löschfahrzeug hat 4000 Liter Wasser im Tank und einen Dachmonitor, der früher meist bei Flächenbränden als Unterstützung zum Einsatz kam. Auch Schaum konnte man früher mal einsetzen, aber die Schaumzumischung des Brummis ist schon lange kaputt. „Geld für Reparaturen haben wir nicht“, sagt Oto. Wir müssen mit allem improvisieren und nur dank des großen handwerklichen Geschicks meiner Leute halten wir ein Löschfahrzeug am Laufen.“ Vor drei Jahren haben sie mit Spenden einen gebrauchen VW-Bus beschafft, der nun als Mannschaftstransporter dient.

Feuerwehr ist keine Aufgabe der Kommunen, 600 Euro Jahresetat
Dass das Material in die Jahre gekommen ist und kaum Geld für Anschaffungen da ist, liegt an den Rahmenbedingungen in Serbien: Freiwillige Feuerwehren sind keine Pflichtaufgabe der Kommunen. Dort, wo es welche gibt, wie in Stanišić seit 85 Jahren, sind sie meist als Verein organisiert und bekommen vielleicht eine Garage gestellt und einen kleinen Zuschuss. Für Wehrführer Oto Olah und die Vereinsvorsitzende Dragana Đapić heißt das, sie müssen im Jahr mit 600 Euro von der Stadt Sombor klarkommen. Das reicht gerade, um im Winter die Garagen zu heizen und Diesel für die Fahrzeuge zu kaufen.

Keine Feuerwehr im Ort? Gartenschlauch oder 30 Minuten warten …
Dabei ist Stanišić mit einer eigenen Wehr noch gut dran. Freiwillige Feuerwehren gibt es in zwei Drittel der 15 Dörfer, die zur Stadt Sombor gehören. Wer keine Wehr im Ort hat, muss im Ernstfall zum Gartenschlauch greifen und auf die Berufsfeuerwehr aus Sombor warten. Die ist zwar rund um die Uhr besetzt, hat bei Entfernungen von bis zu 30 Kilometern in die umliegenden Orte aber bis zu einer halben Stunde Anfahrtszeit. Berufsfeuerwehren unterstehen in Serbien dem Innenministerium. Sie gibt es in größeren Städten.

Kein Funk: Das Handy als Kommunikationszentrale
Als wir uns die Fahrzeuge anschauen, fällt mir auf, dass es keine Funkgeräte gibt. Ich frage Oto, wie sie im Ernstfall kommunizieren und ob es Meldeempfänger und eine Leitstelle gibt. „Nein“, lacht Oto, „das ist alles mein Handy!“ Tatsächlich, Otos Handy ist die Alarmierungs- und Kommunikationszentrale im Ort. Wer ein Feuer bemerkt, der ruft Oto auf dem Handy an. Seine Nummer hat jeder. Oto ist Landwirt und eigentlich auch immer im Ort. Wer in Stanišić die Notrufnummer 193 wählt, landet beim Telefonisten der Berufsfeuerwehr im Sombor. Der ruft Oto an.

Kommandanten-Töchter fix in das "Alarmierungssystem" eingebunden
Ist Oto zuhause, läuft der Alarm so ab: Oto nimmt den Notruf an, gibt seiner Frau Ildiko ein Zeichen, die dann schon das Garagentor öffnet. Oto springt in die Schuhe und sprintet zum Auto. Zeitgleich verständigen die beiden Töchter Beata und Brigitta per Telefon und SMS weitere Mitglieder der Einsatzabteilung. Kommt Oto am Feuerwehrhaus an, öffnet er das Tor und löst an einem Schaltkasten die Sirene aus. Wer bis dahin noch nicht benachrichtig war, weiß nun, dass es brennt und eilt ebenfalls zum Feuerwehhaus. Entweder Oto oder sein Stellvertreter Saša Gusić fahren den Tankwagen, auf dem drei Einsatzkräfte Platz haben. Ist er voll, wird ausgerückt. Weitere Einsatzkräfte rücken mit dem Mannschaftstransporter aus oder kommen mit dem Fahrrad nach. Und wie erfahren die anderen, wo die Einsatzstelle ist? „Das machen wir alles per Handy, oder man sieht wo es brennt – ist ja alles sehr flach hier“, erklärt Oto.

Begrenzte Unterstützung durch die Berufsfeuerwehr
Brauchen sie in Stanišić Verstärkung, ruft Oto in Sombor an und die Berufsfeuerwehr schickt Unterstützung. Meist ein Löschfahrzeug oder wenn nötig die Drehleiter. Für mehr reichen auch dort die Kapazitäten nicht, da sonst keine Einsatzkräfte mehr in der Stadt sind. Von den 16 Einsatzkräften in Stanišić arbeiten nur zwei tagsüber in Sombor, der Rest ist vor Ort beschäftig – als Landarbeiter, Mechaniker oder Bäcker. „Im Durchschnitt sind bei einem Alarm zwölf Einsatzkräfte da. Damit kommen wir in der Regel aus“, sagt Oto. Ist der Wehrführer mal auf dem Markt in Sombor unterwegs, ruft er beim Alarm seinen Stellvertreter Saša an, der dann das Kommando hat und die Sirene auslösen darf.

Wer aus einer Freiwilligen Feuerwehr in Deutschland kommt, der mag über die spartanische Ausrüstung ein wenig erschrocken sein. Andererseits hat mich das Engagement, mit dem sich die Ehrenamtlichen in Stanišić unter diesen schwierigen Bedingungen für den Brandschutz und ihre Mitbürger einsetzen, auch nachhaltig beeindruckt. Allerdings habe ich mich kaum getraut zu erzählen, was eine kleinstädtische Feuerwehr in Deutschland oder Österreich (glücklicherweise) an Fahrzeugen und Gerätschaften in der Garage stehen hat. Wer die Bedingungen in Serbien sieht, weiß das vielleicht noch ein klein wenig mehr zu schätzen.

Neue Schutzbekleidung mit Spenden finanziert
Seit Anfang des Jahres verfügt die Wehr erstmals in ihrer 85-jährigen Geschichte über persönliche Schutzkleidung für die Einsatzkräfte: Helme, Handschuhe, feuerfeste Kleidung und Stiefel. Spenden deutscher Unternehmen haben das möglich gemacht.

Löschfahrzeuge ohne Kennzeichen: Behörde verweigert Zulassung
Dann fällt mir noch auf, dass die beiden Löschfahrzeuge keine Nummernschilder haben. „Ja“, sagt Oto, „die sind auch nicht zugelassen.“ Nicht zugelassen? Nicht versichert? Ich schaue Oto ungläubig an. „Die sind schon so alt, die zuständige Behörde will uns dafür keine Zulassung mehr geben“, erklärt Oto. „Wir sind ja auch nur hier im Ort oder auf den Feldern damit unterwegs, da ist kein Verkehr. Das muss halt so funktionieren. Sonst gäbe es in Stanišić überhaupt keine Feuerwehr. In Serbien musst Du improvisieren!“

Atemschutzgeräte wären das "Non Plus Ultra"
Und was wünscht sich Oto für die Zukunft seiner Wehr? „Das Thema Atemschutz liegt mir am Herzen. Allerdings sind die Geräte und auch die Wartung teurer. Das können wir uns momentan nicht leisten. Im Ernstfall müssen wir derzeit noch auf die Kameraden aus Sombor warten. Besser wäre es, wir könnten mit Atemschutzgeräten ausgestattet bei einem Gebäudebrand schneller eingreifen. Momentan müssen wir halt etwas länger die Luft anhalten, um zu schauen, ob noch irgendwo jemand im Rauch liegt.“ Derzeit bemüht sich die Freiwillige Feuerwehr Stanišić ein gebrauchtes Löschfahrzeug als Spende aus dem Ausland zu bekommen – der alte FAP hält sicher nicht ewig. Doch das ist nicht so einfach, die Kommunen in Deutschland haben schließlich auch kein Geld mehr und nichts zu verschenken.

Kameradschaft und Gastfreundschaft
Was alle Feuerwehren eint – egal ob in Deutschland, Österreich, Ungarn oder Serbien –, das sind Kameradschaft und Gastfreundschaft. Bei meinem Besuch in Stanišić köchelte schon eine dicke Suppe mit Fleischeinlage im Kessel über dem Feuer. Köstlich! Den Tag haben wir auf der Kegelbahn ausklingen lassen. Die heutige Feuerwehrunterkunft war früher einmal eine Art Gemeindezentrum für das Dorf. Die Gebäude stehen aber leer, die Feuerwehr nutz die Garagen und zwei Räume. Nebenan gibt es aber noch eine Kegelbahn – rund 100 Jahre alt! Für Licht sorgen vier Glühbirnen ohne Fassung. Ein Tito-Porträt hängt noch an der Wand. Die Kugeln springen über den Boden. Wer nicht kegelt, stellt hinten die Kegel wieder auf und legt die Kugeln auf die Rampe. Auch ein Erlebnis!

Der Autor
Ralph Menz, 45, ist Journalist aus Deutschland und betreibt den Blog sombor-blog.de. Er berichtet darin über seine Eindrücke aus der serbischen Stadt Sombor und deren Umgebung. Über faszinierende Orte und interessante Menschen, die er journalistisch in Wort und Bild festhält.

Wir bedanken uns an dieser Stelle sehr herzlich für diesen interessanten und abwechslungsreichen Gastbeitrag!

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