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Mit höherer Intensivauslastung und mehr Eindämmung steigt die Sterblichkeit auch bei Non-COVID-Patienten

Aktuelle Studie des Mediziner- und Gesundheitsökonomen-Teams Hofmarcher, Kaspar und Singhuber vergleicht Österreich mit neun europäischen Ländern

Eine aktuelle Studie der gesundheitspolitischen Denkfabrik Austrian Health Academy (aha.) über die erste Phase der Pandemie zeigt, dass die Sterblichkeit von PatientInnen ohne COVID-19 bei einer um zehn Prozent erhöhten Auslastung der Intensivstationen um 3,5 Prozent und bei strengeren Eindämmungsmaßnahmen (um 1.000 Punkte, gemessen am so genannten Stringency-Index) um weitere 0,6 Prozent steigt.

In Österreich sind das etwa 60 Todesfälle pro Woche zusätzlich, in Deutschland mit 83,1 Millionen EinwohnerInnen etwa 750 zusätzliche Todesfälle, in Italien mit 60,3 Millionen rund 500 zusätzliche Todesfälle. Die Studie vergleicht die wöchentliche Non-COVID-19-Sterblichkeit in den Ländern Österreich, Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Schweden, Spanien, der Tschechischen Republik und dem Vereinigten Königreich. Ferner wurden dem Muster der Sterblichkeit Daten aus den Jahren zwischen 2016 und 2019 gegenübergestellt, erklärende Faktoren berücksichtigt und die Intensivbettendichte sowie andere Strukturunterschiede in den Gesundheitssystemen einbezogen.

Eine weitere Datenanalyse ist für das erste Quartal 2021 geplant. „Dank einer hohen Dichte an Intensivbetten war die Auslastung in Österreich nicht so hoch wie in Ländern, die weniger pro Kopf für das Gesundheitssystem ausgeben. Das ist dennoch kein Grund für große Freude: Für Österreich gibt es wissenschaftliche Evidenz, dass die Sterblichkeit durch das akute Koronarsyndrom im ersten Lockdown zugenommen hat“, so die StudienautorInnen MMag.a Maria Hofmarcher, Dr. Ludwig Kaspar und Christopher Singhuber, MSc, unisono.

Mortalität je 100.000 EinwohnerInnen in Österreich.

„Unsere Studie zeigt, dass die Corona-Pandemie auch für PatientInnen ohne COVID-19 ein Gesundheitsrisiko darstellt. Zwar lassen sich die Effekte aus den Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Intensivbettenbelegung nicht scharf abgrenzen, aber unsere Daten weisen darauf hin, dass der Anstieg der Todesfälle bei PatientInnen ohne COVID-19 in den Kalenderwochen 9 bis 21 in den meisten Ländern überwiegend auf eine Umschichtung und Verknappung von Spitalskapazitäten zurückzuführen war“, unterstrich das Studienteam aus Medizinern und GesundheitsökonomInnen. Einschränkend wies Singhuber darauf hin, dass die Länder Todesursachen möglicherweise unterschiedlich bestimmt haben und dass COVID-19-Todesfälle durch staatliche Behörden unter- oder übererfasst worden sein könnten.

„Der zuletzt starke Anstieg der Intensivbettenbelegung in vielen europäischen Ländern, darunter Österreich, legt auch für die aktuelle zweite Welle eine Zunahme der Non-COVID-19-Sterblichkeit nahe. Um dies messen zu können, planen wir ein Update der Studie“, stellte die Ökonomin Hofmarcher klar.

Deutlich höhere Non-COVID-19-Mortalität in Italien, Spanien und UK

In Österreich, Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik war der Anstieg der Sterblichkeit in den Kalenderwochen 10 bis 19 des heurigen Jahres moderat oder gar nicht vorhanden. Dies könnte auf die vergleichsweise unproblematische Auslastung der Intensivstationen oder auch eine geringere Verunsicherung der Bevölkerung zurückzuführen sein.

In Belgien, Frankreich, Italien, Schweden, Spanien und dem Vereinigten Königreich lag die Mortalität pro 100.000 EinwohnerInnen im Vergleichszeitraum deutlich über der durchschnittlichen Sterblichkeit in den vorangegangenen vier Jahren. Mit Ausnahme von Schweden weicht in diesen Ländern auch die Non-COVID-19-Sterblichkeit deutlich vom 4-Jahres-Durchschnitt ab. So sind jene Länder betroffen, in denen die Belegung der Intensivbetten mit COVID-19-Fällen den vorhandenen Kapazitäten nahekam und somit in Konflikt mit der Behandlung anderer PatientInnen geraten sein könnte. Ludwig Kaspar dazu: „Für mich als Intensivmediziner ist klar, dass durch die niedrigen Intensivkapazitäten das Mortalitätsrisiko steigt.“

Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich hatten eine deutlich über dem Durchschnitt liegende Mortalität der PatientInnen ohne COVID-19. Eine ähnliche Entwicklung ist aktuell auch in Österreich wahrscheinlich. Die Grafik zeigt, dass die hohe Übersterblichkeit der letzten Wochen nur zum Teil durch Corona-Todesfälle erklärbar ist. „Warum so viele Menschen betroffen sind, die sich nicht mit SARS-CoV-2 infiziert haben, und wie diese geschützt werden können, muss mithilfe von aktuellen, diagnosespezifischen Auswertungen von Spitalsaufenthalten untersucht werden. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, diese Daten der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen“, so Hofmarcher.

Stärker steuerfinanzierte Länder kamen schneller an ihre Grenzen

Die Auswahl der Länder begründete sich auch in der Finanzierungsstruktur und dem Zentralisierungsgrad: Mehrheitlich sozialversicherungs-finanziert sind die Länder Österreich, Belgien, Deutschland, Frankreich, Polen und die Tschechische Republik. Italien, Schweden, Spanien und das Vereinigte Königreich hingegen finanzieren ihr Gesundheitssystem mehrheitlich über allgemeine Steuern, sind aber organisatorisch weitgehend dezentralisiert. Auffällig ist, dass stärker steuerfinanzierte Länder (Italien, Spanien) über relativ wenig Intensivbettenkapazitäten verfügen und bei außergewöhnlichen Belastungen schneller an ihre Grenzen kommen als Länder wie Österreich oder auch Deutschland.

Über die Austrian Health Academy

Die Studie von MMag.a Maria M. Hofmarcher-Holzhacker, Dr. Ludwig Kaspar und Christopher Singhuber, MSc, erfolgte auf Basis einer Kooperation des Vereins Austrian Health Academy (aha.) mit HS&I Health System Intelligence e.U. Die Austrian Health Academy (aha.) ist eine gesundheitspolitische Denkfabrik. Sie wurde gegründet, um zu einem gerechten, wirksamen und effizienten Gesundheitssystem beizutragen. Präsident ist Dkfm. Dr. Claus Raidl, Präsident-StellvertreterInnen sind Univ.-Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer und Univ.-Prof. Dr. Otto Michael Lesch. Obmann der Austrian Health Academy ist Dkfm. Dr. Michael Kraus. Die Austrian Health Academy (aha.) forscht und berät evidenzbasiert politische und andere AkteurInnen und adressiert mit ihrer Arbeit auch die allgemeine Öffentlichkeit. Sie pflegt den fachlichen Austausch auf nationaler und internationaler Ebene und entwickelt Lösungen für drängende gesundheitspolitische Fragen. Sie finanziert sich über Mitgliedsbeiträge, Sponsoring und Auftragsarbeiten. Ihr oberster Grundsatz ist die wissenschaftliche Unabhängigkeit. (Schluss) me

Die gesamte Studie finden Sie unter:
www.healthsystemintelligence.eu
www.austrianhealthacademy.at

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